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Dass meine chronische Krankheit unsichtbar ist, stört mich gar nicht

Eine Frau mit kurzen braunen Haaren liegt auf einer grünen aufblasbaren Couch im Grünen. Sie trägt eine Türkise Mütze und Sonnenbrille.

von Karina Sturm.

Mittlerweile lebe ich mit verschiedenen unsichtbaren Krankheiten und dadurch entstehende ebenso unsichtbare Behinderungen. Eine dieser versteckten Erkrankungen, die meine Mitmenschen nicht sehen können, ist das Ehlers-Danlos-Syndrom (EDS). Durch EDS kommt es zu anderen Problemen, wie chronischen Schmerzen, Magen-Darm-Beschwerden und ganz vielen mehr – alles Symptome, die die Betroffenen schwer einschränken, aber die ihre Mitmenschen nicht einmal wahrnehmen.

Keine meiner Krankheiten kann man von Außen sehen.

Wenn ich also nicht gerade meine Halskrause trage oder am Flughafen in einem Rollstuhl geschoben werde, ist das, was die Menschen sehen, eine junge Frau, die völlig gesund aussieht. Damit habe ich gar kein Problem. Ich verstehe, dass es für Leute, die noch nie Kontakt zu Menschen mit unsichtbaren Krankheiten und Behinderungen hatten, schwer zu verstehen ist, wie jemand fit aussehen kann, während er chronisch krank ist. In manchen Situationen ist es gar ein Vorteil, wenn mir niemand ansieht, wie es mir gerade geht. Und ich antworte immer gerne auf Fragen wie: „Warum trägst du eine Halskrause?“, oder „Wieso nutzt du am Flughafen einen Rollstuhl, wenn du doch gehen kannst?“

Schmerzhafte Situationen entstehen nicht aus diesen Fragen und meinen Antworten darauf.

Verletzungen entstehen viel mehr aus der Tatsache, dass meine Antworten oft gar keiner hören will, oder – was deutlich schlimmer ist – meine Antwort von meinem Gegenüber hinterfragt oder kleingeredet wird. Das ist der Moment, in dem die Ignoranz und Intoleranz gegenüber Menschen mit unsichtbaren Behinderungen anfängt – nicht mit der ursprünglichen Frage, von der sich viele der Menschen mit Behinderungen in meinem Umfeld überhaupt nicht gestört fühlen. (Hängt natürlich von der Person, der Situation und der gestellten Frage ab).

Gestern hatte ich wieder ein solches eher unangenehmes Erlebnis.

Mit meinem Mann, der großer Shakespeare-Fan ist, wollte ich zu einer Theateraufführung von „As you like it“, die in einem Park stattfand. Wie für die meisten chronisch Kranken, die mit täglichen mittelstarken bis starken Schmerzen der Wirbelsäule und gemeinen Blasen- und Magen-Darm-Beschwerden leben, ist es für mich ziemlich schwierig an solchen Veranstaltungen teilzunehmen. Praktisch jedes Detail muss vorab geplant werden, um sicherzustellen, dass man sich mit seiner Anwesenheit nicht für die nächsten Wochen komplett abschießt.

Da geht es um Überlegungen wie:

Welchen Stuhl kann ich mitnehmen?

Wo setzen wir uns hin, um möglichst nah an den Toiletten zu sein und im Notfall auch während der Vorstellung heimlich verschwinden zu können ohne alle anderen Zuschauer zu belästigen?

Welche Bandagen, Halskrausen oder Hilfsmittel nehme ich mit, um einigermaßen komfortabel zu sitzen?

Und oft führen all diese großen und kleinen Herausforderungen dazu, dass ich mich entscheide nicht teilzunehmen, weil der Aufwand einfach zu groß ist und der damit verbundene Stress, ob denn alles glatt geht, zu nervenaufreibend.

Doch ich wollte endlich mal wieder an einer Veranstaltung teilnehmen.

Und dass die Aufführung im Park stattfand – wie ein großes Picknick nur mit Shakespeare – und kostenlos war, erleichterte vieles. Stühle durfte jeder selbst mitbringen, was meinen Mann kurzerhand dazu bewegte, ein aufblasbares Sofa mit Kopfstütze für mich zu bestellen. Die Vorstellung, dass ich während eines Theaterstücks auf einer Wiese liegen konnte, nahm mir zumindest einen Teil meiner Bedenken. Den ganzen Aufenthalt von Anreise, über Medikamente, bis hin zu Hilfsmitteln durchgeplant, packten wir unsere Rucksäcke und machten uns auf den Weg.

Wir setzten uns neben ein älteres Paar.

Das ganze Ambiente war wunderbar. In einem großen Park mit riesiger Grünfläche und dem Ozean im Hintergrund setzten wir uns auf das kleine abgetrennte Areal in den Bereich für größere Stühle. Vor uns die Bühne, die hauptsächlich aus dunklen Brettern und drei segelartigen roten Tüchern bestand. Um uns herum füllte sich langsam die Rasenfläche. Seit langem fühlte ich mich endlich mal wieder als ein Teil der Gesellschaft; als jemand, der bei Veranstaltungen sein kann ohne sich dabei zu quälen; jemand der Kultur erleben darf – was für andere so selbstverständlich ist.

Das Paar neben uns verwickelt uns in Smalltalk.

Doch wie so oft bleibt es nicht bei einem oberflächlichem Gespräch – zumindest nicht für mich.

Das ältere Paar lacht als mein Mann die aufblasbare Couch neben den beiden platziert: „Hey, bereitet ihr euch gerade auf den Strandurlaub vor?“

Ich lächle und sage: „Theoretisch könnte man dieses Sofa mit ins Wasser nehmen, ja.“

Die Frau erwidert: „Ist das bequem? Kann man darauf schlafen?“

Ich sage: „Leider nicht. Zum kurz darauf liegen ist das ganz komfortable, aber mit der Zeit geht die Luft aus und irgendwann würde man auf dem Boden liegen.“

Sie schaut sich um und sieht außer uns niemandem mit einem solchen Sofa und sagt: „Jetzt bin ich schon ein wenig neidisch. Sowas hätte ich auch gern. Wie seid ihr denn auf die Idee gekommen?“

Ich erkläre: „Ich habe ziemlich heftige Rückenbeschwerden aufgrund einer seltenen, chronischen Krankheit und kann deshalb nicht lange in einem Campingstuhl sitzen. Daher haben wir uns gedacht, probieren wir mal ein Sofa aus.“

Sie schaut überrascht. Er ist irritiert.

An dieser Stelle hätte das Gespräch vorbei sein können.

Viele Kommentare wären als Reaktion auf meine Erklärung angebracht gewesen, darunter z. B. empathische Äußerungen wie: „Tut mir leid, dass du Rückenbeschwerden hast“, oder unterstützende Kommentare wie: „Wow, das ist aber eine gute Idee.“ Es hätte wirklich viele adäquate Optionen gegeben. Was stattdessen passierte und generell nie angebracht ist, waren Kommentare, die meine offene Erklärung meiner gesundheitlichen Probleme herunterspielten.

Er lacht heftig und sagt: „Also komm, du musst doch nicht nur auf dem Sofa liegen, weil du die Frau bist. Du bist doch emanzipiert. Lass deinem Mann doch das Sofa.“

Jetzt schaue ich irritiert.

Ich verstehe nicht genau, wo dieser Spruch herkommt und fühle mich missverstanden. Klar ist schwer zu fassen, dass jemand, der so aussieht wie oben auf dem Bild, krank ist, aber wie kann denn die klare Aussage „Ich habe eine seltene, chronische Krankheit und schwere Rückenbeschwerden, weshalb ich nicht sitzen kann“ einfach ignoriert oder – noch verletzender – heruntergespielt werden?

Es ist schwer genug, sich als chronisch Kranker Fremden zu öffnen.

Und solche Kommentare, die einem das Gefühl geben, als würde man nur übertreiben, sind der Grund dafür, dass sich ganz viele Menschen mit unsichtbaren Krankheiten und Behinderungen zurückziehen, isoliert leben und sich gar nicht mehr trauen darüber zu sprechen. Ich versuche noch zweimal zu erklären, dass ich aufgrund meiner gesundheitlichen Beschwerden auf dem Sofa liege. Beide Male werde ich von ihm unterbrochen. Dann gebe ich auf.

Lange Zeit habe ich mich für meine Einschränkungen geschämt und mich zurückgezogen.

Zu groß war die Angst davor, dass andere Menschen mich für faul halten könnten. Oft genug hat man mich einen Sozialschmarotzer genannt, der keine Lust auf arbeiten hat. Ärzte haben mir erzählt, ich würde mir die Krankheit nur einbilden und meine Mitmenschen versuchen mir ständig zu erklären, wie ich gesünder werden kann, indem ich Diät XY, Nahrungsergänzungsmittel ZV oder Arzt DB ausprobiere . All diese Erfahrungen waren in ihrer Gesamtheit so traumatisierend, dass ich für lange Zeit lieber geschwiegen habe.

Doch damit ist jetzt Schluss!

Es gibt nichts – aber auch gar nichts – wofür sich chronisch kranke Menschen schämen müssen. Und sicher nicht dafür, dass uns unsere Mitmenschen ignorant und respektlos behandeln. Ich werde weiterhin mit jedem, der Interesse zeigt, über meine Erkrankung sprechen und bereitwillig erklären, was unsichtbare Behinderungen sind und wie dieses sich auf mein Leben auswirken. Doch ich werde nie wieder nur lächelnd nickend hinnehmen, wenn mir Menschen suggerieren, ich würde einfach nur ein bisschen übertreiben.

Ich werde mich nicht mehr stehend durch einen Zugfahrt quälen.

Nur weil mir meine Mitmenschen vermitteln, ich hätte kein Recht auf einen Platz für Menschen mit Behinderungen. Ich werde mich auch nicht mehr dafür rechtfertigen, dass ich keinen Vollzeitjob ausüben kann, oder gar dafür, dass ich keine Kinder bekommen werde oder möchte. Außerdem werde ich niemandem mehr erlauben, mir zu erklären, wie ich mein Leben wohl besser leben könnte. Und ich werde mich auf keiner Veranstaltung mehr dafür rechtfertig auf einem Sofa zu liegen.

Meine Behinderung mag unsichtbar sein, ich aber nicht!

2 Kommentare
  1. Silvia Fuchs sagte:

    Liebe Karina! Das ist sehr vernünftig. Ich denke mir schon lange nichts mehr dabei wenn ich in der Schlange stehe und von einem Bein auf das andere hüpfe. Ich denke mir einfach wie blöd würden die schauen wenn ich plötzlich umfalle. Wenn mich jemand fragt erkläre ich es. Wenn nicht ist es mir egal.

    Antworten

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