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Warum es für chronisch Kranke so schwer ist, eine Karriere aufzubauen

Eine Frau sitzt mit dem Rücken zur Kamera auf einem Felsvorsprung und schaut in einen Canyon, in dem Blumen blühen und viele grüne Bäume stehen. Die Frau trägt einen blauen Wanderrucksack.

von Karina Sturm.

Ich bin frustriert. Ihr kennt das. Es gibt diese Tage, an denen man die chronische Krankheit verflucht. Denn es scheint, als ob mein Ehlers-Danlos-Syndrom immer dann zeigen muss, wer hier der Boss ist, wenn ich gerade ein bisschen Aufwind habe. 

Gesundheitlich geht es in meinem Leben weiterhin bergab. 

Aber mental habe ich mich nie besser gefühlt. Auch nicht vor der Krankheit. Das Schreiben, das anfangs ”nur” eine Hilfe war, mit all den Emotionen rund um die Krankheit umzugehen, hat mich bis zum Journalismus geführt und das Studium gibt mir so viel Kraft. Ich habe eine neue Aufgabe gefunden und fühle mich wieder wie ein Teil der Gesellschaft.

Immer wenn ich mit meinem Leben zufrieden bin, kommt ein Rückschlag. 

Das klingt verrückt, aber ich könnte schwören, dass mein Körper mich jedesmal bestraft, wenn ich ausspreche, dass ich gerade ganz glücklich mit allem bin. Und in diesen Momenten ist es oft besonders schwer die Krankheit zu akzeptieren und nicht vom Frust zerfressen zu werden. 

Letzte Woche bekam ich eine einmalige Chance.

Ich wurde zu einem Event eingeladen, das nur ca. eine Stunde von meinem Wohnort entfernt ist. Die Veranstaltung vernetzt Journalisten mit Behinderung mit leitenden Figuren in der Industrie. Es gibt dort Speed-Interviews, während derer man seine Arbeit vorstellen kann, Vorträge von Aktivisten und vieles mehr. Eine einmalige Chance auch in den USA Gleichgesinnte kennenzulernen und mich zu vernetzten.

Ich bewarb mich und wurde akzeptiert.

Darüber war ich so unvorstellbar glücklich. Ich hatte das Gefühl, in meinem Leben bewegt sich etwas in die richtige Richtung und ganz tief in mir hoffe ich immer auf ein unabhängigeres Leben. Da die Veranstaltung gezielt auf Journalisten mit Behinderung ausgerichtet war, wurde mir auch erlaubt flexibel zu kommen und zu gehen, ein Ruheraum war eingeplant und sogar das Essen wurde auf die Bedürfnisse der Beteiligten abgestimmt. Das klang nach einem perfekten Tag für mich. Mein Körper hingegen, stimmte dem so gar nicht zu. 

Meine Behinderung ist nicht jeden Tag gleich. 

48 Stunden vor dem wichtigen Event ging es mir plötzlich extrem schlecht. Ich spürte meine Beine wenig, taumelte beim Gehen und sah Lichtblitze vor den Augen. Meine Halswirbelsäule war mal wieder verschoben. Warum? Das kann ich nur selten nachvollziehen. Ich hatte starke Schmerzen an der Wirbelsäule, verschluckte mich ständig und war zu schwach auf den Beinen zu stehen. Scheinbar hatte sich meine Halswirbelsäuleninstabilität spontan verschlechtert. Und wenn es mies läuft, dann richtig. 

Trotz all dieser Symptome sehe ich nach außen hin nicht krank aus. 

Bis auf meine Halskrause, die ich heute durchgängig trage, sieht man mir nichts an. Niemand in meinem Umfeld merkt, dass dieser Tag schlechter ist als jeder andere Tag in den letzten Wochen. Und als ich auf dem Weg zu einem Arzttermin bin und mal wieder in der U-Bahn stehen muss, weil sie bis oben hin vollgestopft ist, merke ich wieder, wie unsichtbar meine Behinderung ist. Denn der Mann neben mir stupst mich an, schaut in Richtung eines Rollstuhlfahrers, der ebenfalls im Abteil ist und sagt: ”Mensch, da kann man ja froh sein, dass man so gesund ist, oder?” 

Mal ganz davon abgesehen, dass der Kommentar für den Rollstuhlfahrer, der hoffentlich weit genug weg war, um ihn zu hören, völlig daneben war, hat mich diese Aussage nur noch mehr frustriert. Sicher könnte es mir schlechter gehen; natürlich könnte ich kränker sein. Und meistens bin ich dankbar dafür, dass ich die Dinge, die ich tue, noch kann. Aber heute, heute reicht es mir auch so. Völlig entgegen meinem Naturell habe ich mich einfach umgedreht und bin ohne ein Wort gegangen. Ich hätte auch nicht gewusst, was ich dazu sagen sollte. 

Und jetzt liege ich hier, auf meinem Sofa, und drücke mich davor, diese eine E-Mail zu schreiben. 

Die E-Mail, in der ich mich dafür entschuldige, so unzuverlässig zu sein. In der ich erkläre, dass meine Krankheit leider unberechenbar ist und dass ich auf keinen Fall undankbar erscheinen will. Man hat mir eine Chance gegeben, die ich wie so oft nicht nutzen kann, was mein Leben zusätzlich schwieriger macht. Aber das bin ich gewöhnt. 

”Vielleicht gibt es ja doch einen Weg, wie ich teilnehmen kann?”,

denke ich mir und versuche alle möglichen Szenarien durchzuspielen, nur um am Ende festzustellen, dass mein Körper so nicht funktioniert. Ich drücke mich noch einen Moment um die E-Mail, bevor ich wieder akzeptiere, dass ich nicht wie andere Journalisten sein kann und vielleicht muss ich das auch nicht? Vielleicht sind es genau diese Erfahrungen, die meine Arbeit beeinflussen und ohne die ich vermutlich nie Artikel über andere Menschen mit chronischen Krankheiten und Behinderungen geschrieben hätte. 

Ich möchte daran glauben, dass es möglich ist, auch mit Einschränkungen, Krankheiten und Behinderungen eine Karriere in dem Bereich aufzubauen, den man liebt. Und daran halte ich weiter fest, auch wenn ich mich heute erst einmal geschlagen geben muss. Morgen oder übermorgen, vielleicht auch erst nächste Woche, da geht es dann wieder irgendwie weiter. Denn das tut es immer: Weitergehen. 

2 Kommentare
  1. Manuela Schneider sagte:

    Liebe Karina
    ich kann mich hineinversetzen wie du dich fühlst. Stecke im Moment in der gleichen Krise. Immer wieder wird man ausgebremst, immer wenn man denkt man hat sich arrangiert und kann damit Leben kommt der nächste Schub, der nächste Ärger, die nächste Enttäuschung und manchmal wird der Kampf einfach zu schwer und das Päckchen zu groß zum tragen. Schreiben heisst ein Stück los lassen dürfen und auch seine eigene Richtung bestimmen. Die Geschichte können wir selbst bestimmen, den Alltag leider nicht. Ich hoffe du bekommst eine zweite Chance, denn du hast sie verdient. You are an inspiration and even more so during your bad days!

    Antworten
    • karinabutterfly sagte:

      Hallo meine Liebe,

      danke für den wunderbaren Kommentar. Du hast total recht. Manchmal ist einfach alles zu viel. Und oft gibt’s auch keine zweite Chancen. Aber es gibt immer eine andere Option und manchmal ist Plan B sogar besser als Plan A. Ich gebe jedenfalls nicht auf. :) Und ich weiß, du beißt dich da genauso durch.

      Drück dich.

      Karina

      Antworten

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