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Nina Chen über ihr Mutmachbuch über das Mastzellaktivierungssyndrom

Buchcover mit grünem Hintergrund und Text: MCAS, Mastzell-Aktivierungs-Syndrom, Die überaktive Mastzelle beruhigen, das praktische Mutmach-Buch einer Betroffenen

Heute habe ich eine ganz besondere Gästin bei mir im Blog: Nina Chen, eine MCAS-Betroffene, die fast gleichzeitig mit unserem EDS-Ratgeber ein Sachbuch über das Mastzellaktivierungssyndrom im Thieme-Verlag veröffentlicht hat. Im heutigen Interview spreche ich mit Autorin Nina über ihre eigenen Erfahrungen mit Mastzellaktivierung, ihrer Motivation gerade dieses Buch zu schreiben und sie teilt ein bisschen was aus dem Inhalt mit uns. 

Karina Sturm: 

Hi Nina, so schön, dass ich dich als Gästin in meinem Blog begrüßen darf und Glückwunsch zur Buchveröffentlichung! Zu Beginn erzähl mir ein bisschen was von dir. Wer bist du, was machst du so und was ist dein Background?

Nina Chen: 

Hi Karina! Ich danke dir für die Einladung und die Glückwünsche! Ich heiße Nina Chen und bin gebürtige Kölnerin. Zwischendurch habe ich in Hamburg, Essen und Barcelona gewohnt. Etwas später bin ich zurückgekehrt und habe zusammen mit meinem Mann bei Köln ein Haus bezogen und vier Kinder dort großgezogen. Durch den Beruf meines Mannes mussten wir dann ins Emsland ziehen. Hier wohnen wir jetzt seit gut einem Jahr. Ich arbeite als Illustratorin. Das heißt ich zeichne für Verlage Bücher, Grußkarten und Kalender und für Villeroy & Boch Geschirr.

Sturm:

Wie cool! Dann bist du ja quasi schon im Buchbusiness. Aber wie kam es dann zu deinem Interesse am Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS)? Das Thema ist nicht unbedingt die offensichtliche Wahl, oder? 

Chen: 

MCAS wurde wohl oder übel zu meinem Lebensthema, denn ich habe seit meiner Geburt mit milden bis schweren, damals unerklärlichen, Krankheitsschüben zu tun. Es vergingen 39 Jahre bis ich endlich wusste, was mit mir los war: ich habe sowohl MCAS als auch ein Ehlers-Danlos-Syndrom.

Sturm:

Ah, du bist also selbst betroffen. Das macht Sinn. Magst du mir ein bisschen von deinen persönlichen Erfahrungen mit MCAS erzählen?

Chen: 

Klar! Mein Leben begann praktisch mit Mastzelltheater. Ich reagierte schon auf die Babymilch, die ich als Säugling zu trinken bekam. Bis heute vertrage ich keine Kuhmilch. Damals gab es jedoch noch keine hypoallergene Babynahrung. Ich wuchs nur langsam und nahm kaum zu. Als ich 4-5 Monate alt war sagte mein Vater zu meiner Mutter: “Füttere das Kind doch mal mit Bratkartoffeln!“ Und siehe da: das Dauergebrüll und die Bauchschmerzen ließen nach und ich wuchs und nahm tatsächlich zu. 

Sturm: 

(Lacht). Ha, das klingt mal nach guter deutscher Küche! Lustigerweise vertrage ich Kartoffelprodukte auch am besten. Ich habe ja auch die beliebte Dreierkombination aus EDS, MCAS und dem posturalen Tachykardiesyndrom (PoTS) und richtig salzige Pommes sind gut für PoTS und MCAS! Aber das du schon so früh so schwere gastrointestinale Symptome hattest, scheint ungewöhnlich, oder?

Chen: 

Ja, definitiv! Wenn ich mich zurückerinnere hatte ich eigentlich immer schon Bauchschmerzen, unerklärliche Durchfälle und Übelkeit. Die Aussage “Mir ist schlecht” hat jeder in meiner Familie viel zu oft gehört. Sechs Gastroskopien in meiner Jugend ergaben immer dieselbe Diagnose: Magenschleimhautentzündung. Aber anstatt nach den Ursachen zu suchen oder nach meiner Ernährung bzw. den Lebensmitteln zu vertragen, die mir Probleme machen, bekam ich stattdessen Protonenpumpenhemmer wie Smarties verschrieben! Als 20-jährige kippte ich dann das erste Mal bewusstlos vom Stuhl. Die Anaphylaxie wurde damals nicht erkannt. Stattdessen gaben mir die Ärzt*innen im Krankenhaus Valium, weil sie psychischen Stress vermuteten, was meine Mastzellen für weitere Tage ausflippen ließ. [Valium ist eines der Medikamente, die Mastzellen zur Degranulation anregen; also ein bekannter Trigger]. Zwischen 20 und 30 war ich quasi ständig schwanger – vier Kinder habe ich in dieser Zeit bekommen – und das schien meinen Mastzellen zu gefallen. Heute weiß ich, dass in der Schwangerschaft das Enzym DAO (Diaminooxidase) bis zu 500-fach erhöht ist, was der Marstzellaktivierung oder auch Histaminintoleranz entgegenwirkt. Ende 30 ging es dann wieder Bergab mit einer Lokalanästhesie beim Zahnarzt. Innerhalb von wenigen Minuten verabschiedete sich mein Kreislauf. Mein Mann rettete mir damals mein Leben, in dem er sofort reagierte und den Notarzt rief, der innerhalb von Minuten vor Ort war. Von da an war nichts mehr wie es vorher war. Ich brauchte tägliche Kortisongaben, um nicht erneut in die Anaphylaxie zu rutschen. In dieser Zeit wurde ich regelmäßig mit dem Krankenwagen in die Notaufnahmen der umliegenden Krankenhäuser transportiert. Jedoch keiner der Ärzt*innen wusste was mit mir und diesen merkwürdigen Symptomen anzufangen. Damit ging meine Abwärtsspirale weiter und ich kam an den Punkt, an dem ich nur noch fünf Lebensmittel vertrug, ohne bewusstlos umzukippen oder schwere Symptome zu entwickeln. Als Folge traute ich mich nicht mehr aus dem Haus. Dadurch verlor ich jegliche sozialen Kontakte und musste meinen Beruf aufgeben. 

Stunden, ach was Tage hatte ich zu dem Zeitpunkt schon in Wartezimmern verbracht und unsinnige Diagnosen erhalten und noch viel mehr unsinnige Medikamente mit nach Hause genommen. 2017 stieß ich dann zufällig auf eine Veröffentlichung von Prof. Molderings zum Thema Mastzellaktivierungssyndrom. Ich ließ mich in einem Bonner Krankenhaus einweisen, wo meine Vermutung bestätigt wurde. Was für ein Freudentag für mich! Ich war unendlich erleichtert, endlich eine Diagnose zu haben und nicht mehr von allen Mediziner*innen als Hypochonderin abgetan zu werden. Leider war die Diagnose erst der Anfang meiner langen Reise, denn ich fand weder Literatur für Betroffene, noch Mediziner*innen, die mir helfen konnten, meine immer schwerer werdenden Symptome in den Griff zu bekommen. In den folgenden drei Jahren verschlechterte sich meine Lage enorm. Ich war bei dem Menü “Reis mit Möhrchen“ und das dreimal am Tag angekommen und reagierte auf kleinste Umweltreize wie z. B. Wetterwechsel und Temperaturunterschiede in Geschäften. Es war unerträglich. Zu meinen Mastzellsymptomen kamen noch zusätzlich vermehrte Müdigkeit, Schmerzen im ganzen Körper, Zysten hier und dort, Schwindel, Sehstörungen, asthmaähnliche Symptome, Gelenkschmerzen, Muskelschmerzen, unerklärliche blaue Flecken an den Oberschenkeln. Das legte den Verdacht nahe, dass da vielleicht außer MCAS noch ein weiteres Problem sein könnte. Die Lösung des Rätsels ließ nicht lange auf sich warten, meine zweite Diagnose: hypermobiles Ehlers-Danlos-Syndrom, das in Köln bei einem Humangenetiker festgestellt wurde.

Sturm: 

Wow, da hast du ganz schön was mitgemacht. Das tut mir leid. Aber wie toll, dass du aus all den schlechten Erlebnissen dann so was Positives gemacht hast, wie ein Buch. Was war denn deine Motivation ein Buch über MCAS zu schreiben?

Chen: 

Das war eigentlich eine Blitzidee von mir. Da ich in den letzten sechs Jahren unglaublich viel über mich, meinen Körper und meine Mastzellen gelernt habe, habe ich es geschafft, mich nach und nach von schweren Symptomen zu einer recht milden Symptomatik, die ich auch relativ gut kontrollieren kann, zu hangeln. Die Erfahrungen und unzählige Selbstversuche, die ich in diesen Jahren gemacht habe, führten letztendlich zu meinem persönlichen, ich sag jetzt mal, “Wohlfühlprogramm für meine Mastzellen“ und ich habe angefangen, für den Selbsthilfe Verein  MCAS HOPE einige Blogbeiträge über meine Erfahrungen zu schreiben. Irgendwann kam mir dann die Idee, dass ich das auch einer größeren Leserschaft mitteilen könnte. Als ich damals ganz am Anfang stand, hätte ich mir solch ein Buch gewünscht: mit praktischen Tipps und Ideen, um meine Mastzellen nachhaltig zu beruhigen. Ich schrieb den TRIAS-Verlag an, um meine Idee vorzustellen. Direkt am nächsten Morgen klingelte das Telefon. Die Programmleitung war am Apparat und sagte mir, dass es beinahe unheimlich wäre, denn sie hätte gestern noch an die Idee eines Buch über MCAS gedacht! Es war also eine glückliche Fügung des Schicksals. Meine Motivation für das Buch war, dass es anderen Menschen nicht so ergehen sollte, wie mir: nämlich völlig hilflos dazustehen und nicht zu wissen, was man tun kann; vollkommen verzweifelt zu sein und alleingelassen mit den unheimlichen Symptomen.

Sturm: 

Das kann ich so gut nachvollziehen. Mir ging es mit meinem EDS-Ratgeber ähnlich! Es ist so wichtig, dass wir Patient*innen empoweren, sodass sie selbst ein aktiver Teil ihres Krankheitsmanagements werden können. Magst du uns ein bisschen vom Inhalt des Buchs erzählen?

Chen: 

Mein Buch ist ein praktisches Mutmach-Buch geworden. Denn ich habe in den vergangenen Jahren vor allen Dingen eins gelernt: du kannst die Räder in Bezug auf MCAS zurückdrehen. Du kannst es schaffen, deine dauerrandalierenden Mastzellen zu beruhigen und auch nachhaltig zu stabilisieren. Das Buch erklärt genau das. Es ist grob in drei Teile gegliedert: Der erste Teil des Buches ist der Wissensteil. Hier erfährst du alles darüber, wie deine Mastzellen funktionieren und was in deinem Körper durch daueraktivierte Mastzellen passiert. Im zweiten Teil des Buches stelle ich dir meine drei Säulen der Mastzellberuhigung vor: die Kombination von Ernährung, Bewegung und Stressmanagement. Ich stelle dir mein Ernährungsprogrammm vor, das darmgesund, entzündungsreduzierend und basisch ist. ich erkläre dir meine Ernährungsgrundlagen  und welche Mastzellenstabilisatoren und Mastzellhacks du nutzen kannst, um deine Mastzellen zu beruhigen. Der dritte Teil des Buches ist vollgepackt mit praktischen Umsetzungstipps. Da ich schon oft gefragt wurde, wie mein persönlicher Genesungsweg aussah, gibt es am Ende dieses Kapitels einen kleinen Exkurs in meine eigene Mastzellgeschichte, der da heißt: meine 16 Schritte zu einer stabilen Mastzellgesundheit. Dieser beschreibt was ich unternommen habe, um von einer schweren Symptomatik zu einer milden kontrollierten Symptomatik zu gelangen. Das Buch schließt mit für mich wichtigen Rezepten und Buchempfehlungen ab.

Sturm:

Also das Buch basiert eher auf deiner eigenen Erfahrung, oder? Aber ist es auch ein Sachbuch, dass ich z. B. auch mit zu meinen medizinischen Terminen nehmen kann?

Chen: 

Ja, definitiv kannst du es auch zu deinem Arzt mitnehmen ;-) Aber: Das Buch ist kein reines Sachbuch, welches über die Mastzellen und deren Funktion und Arbeitsweise informiert. Denn ich habe das Grundwissen zu MCAS recht kurz gehalten – dazu gibt es ja bereits Literatur. Ich spreche am Anfang des Buchs kurz darüber was Mastzellen sind, welche Symptome durch MCAS ausgelöst werden, wie MCAS diagnostiziert wird und wie sich Histaminintoleranz, Mastozytose und Mastzellaktivierungssyndrom unterscheiden. Außerdem zeige ich kurz die Formen der Therapie von MCAS auf. Ich sehe es nicht als meine Kernaufgabe, nur über Mastzellen zu informieren. Das war nicht meine Intention, das Buch zu schreiben. Informationen zu Mastzellen kann sich jeder Betroffene mittlerweile selber aus dem Internet ziehen. Aber eben meist keine Lösungen! Mein Buch soll stattdessen Lösungsansätze bieten!

Sturm:

Wie war denn der Produktionsprozess? Also wie lange hast du daran gearbeitet?

Chen

Ich habe ungefähr drei Monate lang gelesen und dann drei Monate lang geschrieben. Wobei der Prozess der Recherche eigentlich natürlich viel früher begonnen hat, da ich jahrelang vorher immer wieder Literatur nachgeschlagen habe und mir unglaublich viel angelesen habe. Ich muss dazu sagen, dass es mir sehr entgegen kommt, dass mein Mann Mediziner ist. So habe ich einfachen Zugang zu medizinischer Literatur.

Sturm:

Ja, das hilft definitiv! Was hast du von diesem Buchprojekt gelernt?

Chen: 

Ich habe viel über mich gelernt. Ich wusste vorher beispielsweise nicht, dass ich sehr gerne medizinische Texte lese und versuche, diese in einen größeren Zusammenhang zu bringen, beispielsweise mit einer Mastzellerkrankung. Medizinische Themen haben mich immer schon interessiert. Nach dem Abitur stand auch einmal ein Medizinstudium zur Debatte. Aber ich wußte nicht, dass ich mir so gerne medizinisches Wissen aneigne oder Studien vergleiche etc. Was mich dabei sehr traurig gemacht hat, ist, dass es unzählige Studien zu Mastzellen gibt, aber die scheinbar nie in Zusammenschau gesehen werden. Das habe ich versucht, mit meinem Buch zu erreichen. Ich habe auch gelernt, mir mehr zu vertrauen und den Mut zu haben, neue Fragen zu stellen. Ich bin ein sehr schüchterner Mensch, der nicht gerne unter Leute geht. Es kostete mich auch Überwindung, mich zu zeigen und mit meiner Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Ich muss dazu sagen, dass mich die Programmleitung des TRIAS-Verlages sehr dabei unterstützt hat, indem sie mir gesagt hat, dass sie an mich und mein Projekt glauben. Mir wurde auch noch mal bewusst, wie chaotisch ich bin. Denn ich hatte zwar vorher eine kleinere lose Textsammlung, aber bevor ich dieses Buch begonnen hatte, wusste ich nicht WIE chaotisch wirklich alles war. Das Buch hat mir daher auch viel über meine ADS (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom) erzählt. Desweiteren wusste ich vorher gar nicht, dass ich so viele Worte in mir habe und ich freue mich super, dass ich es geschafft habe, das auszudrücken, was mir wichtig war.

Sturm:

Was möchtest du mit dem Buchprojekt erreichen?

Chen: 

Mein Ziel ist es, dass Betroffene einfache, praktische Tipps bekommen, mit denen sie sofort loslegen können, ohne teure Medikamente, teure Nahrungsergänzungsmittel oder ähnliches. Mit dem, was da ist. Denn es gibt so viele Möglichkeiten, so viele Räder an denen wir drehen können, um unsere Mastzellen zu beeinflussen. Aber das bekommen Betroffene nicht erzählt. Die Ärzt*innen sagen uns nur: nimm Medikament XY, damit kannst du deine Mastzellen kurz blockieren. Viel wichtiger ist es jedoch, die Ursachen auszuschalten, die dazu führen, dass unsere Mastzellen ausflippen und gleichzeitig unsere Mastzellwände und das Mastzellumfeld zu stabilisieren. Und da tuen sich so viele Möglichkeiten auf, die ich in meinem Buch beschreibe. Wir können es uns ungefähr so vorstellen, wie ein riesiges Räderwerk: Jedes noch so kleine Rädchen, an dem wir drehen, kann unsere Mastzellen positiv beeinflussen. Ich würde mir wünschen, dass sich mehr Mediziner*innen mit der antientzündlichen, darmgesunden, basischen Ernährung bei MCAS beschäftigen würden. Ein Traum von mir wäre es, eine Studie zusammen mit Mediziner*innen zu initiieren, um zu schauen, ob meine Art der Mastzelltherapie nicht für alle Mastzellpatient*innen gleichermaßen geeignet wäre. Das wäre grandios.

Sturm:

Liebe Nina, ich danke dir für dieses spannende Interview und das Buch, dass du geschrieben hast und hoffe deine Mastzellen bleiben auch weiterhin stabil! 

Chen: 

Ich danke Dir, liebe Karina! 

Nina’s Buch könnt ihr überall kaufen, wo es Bücher gibt! 

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Thalia

Mehr über Nina: 

http://nina-chen.de/

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