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Das Leben mit einer chronischen Krankheit akzeptieren lernen

Karina, eine Frau mit kurzen, braunen Haaren sitzt auf einem weißen Karusellpferd und lächelt.

von Karina Sturm.

Mit einer chronischen Krankheit zu leben, ist nicht einfach. Das ganze Leben verändert sich von einem Moment zum nächsten und plötzlich fällt man in ein großes Loch ohne Boden, aus dem man anfangs nicht herauszukommen scheint. Doch über die Zeit lernt man mit der Erkrankung umzugehen, sie zu akzeptieren und fängt ein neues Leben an. Wie dieser Prozess für mich war und wie ich letztlich gelernt habe, mein Leben mit Ehlers-Danlos-Syndrom und Co. zu akzeptieren, das erzähle ich euch heute. 

Chronisch krank werden ist Mist. 

Eine chronische Krankheit zu akzeptieren, ist kein linearer Prozess. Ich weiß das, weil ich seit 2010 mit allerlei Symptomen lebe, die von einer seltenen Bindegewebserkrankung, dem Ehlers-Danlos-Syndrom (EDS),  und dessen Begleiterkrankungen ausgelöst werden. Auf einen Schlag alles zu verlieren, was einem einen Sinn im Leben gibt, ist – direkt gesagt – ziemlich shit. Plötzlich ist nichts mehr wie es einmal war und man weiß nicht mehr, wer man eigentlich ist; was man im Leben noch erreichen kann. 

Ohne Diagnose ist es schwer eine Krankheit zu akzeptieren. 

Vier Jahre hat es gedauert, bis ich damals die Ehlers-Danlos-Syndrom-Diagnose bekommen habe. Vier Jahre, in denen ich weder vor noch zurück konnte – ich steckte fest.  Zwischen all den Arztterminen war ich permanent in einem Fight-or-Flight-Zustand. Ich war am kämpfen: jeden einzelnen Tag. Kämpfen um Anerkennung meiner Symptome, kämpfen um finanzielle Unterstützung von Rente und Krankenversicherung, kämpfen gegen die Frustration, die Angst, die Hoffnungslosigkeit, die immer wieder über einen kommt. Wenn ich heute zurück denke, erinnere ich mich nur noch an Bruchstücke dieser Jahre. Bei all den negativen Erfahrungen, habe ich vieles verdrängt, weil ich diese Zeit mental wohl sonst nur schwer überstanden hätte. Zu wissen, dass man schwer krank ist, aber keine Erklärung dafür zu haben, war für mich am schwersten zu ertragen. Die Angst vor dem Unbekannten. 

Mit der Diagnose realisiert man, dass es keinen Weg mehr zurück gibt.  

Erst mit der Diagnose und dem Wissen, dass ich nie mehr gesund sein würde, fing ich langsam an durch alle Trauerphasen zu gehen. Vor der Diagnose gab es immer noch diesen kleinen Hoffnungsschimmer, dass meine Symptome irgendwann verschwinden und ich zurück in mein altes Leben kann. Mit der EDS-Diagnose ist diese Traumblase geplatzt, was einerseits wie ein Schlag ins Gesicht war, aber anderseits auch eine große Erleichterung. Endlich hatte ich den Beweis, dass ich mir meine Erkrankung nicht nur eingebildet habe. Endlich konnte niemand mehr anzweifeln, dass ich wirklich krank war. Und plötzlich fällt man in ein neues Loch: Die Trauer. Auf einmal realisiert man, dass man für immer krank sein wird und viele der Dinge, die man früher noch konnte, nun nicht mehr möglich sind. 

Und dann beginnt die Trauer.

Trauern verbinden viele Menschen nicht mit Krankheit. Ist ja keiner gestorben, oder? Aber irgendwie ist Trauer genau was passiert. Denn tatsächlich ist jemand gestorben: ein Teil von uns selbst. Man trauert um die Person, die man mal war; verabschiedet sich von Dingen, die man früher konnte, aber heute nicht mehr. Man trauert um Menschen, die einen im Stich gelassen haben; um Träume, die plötzlich platzen. Und dann lässt man los. 

Trauern ist kein linearer Prozess. 

Am Ende bei Akzeptanz anzukommen, hat für mich ein paar Jahre gedauert. Anfangs habe ich viel gegen meinen Körper angekämpft und versucht ihn dazu zu zwingen, wieder so zu werden wie früher. Das hat oft zu großen Verschlechterungen geführt, sodass ich nur noch frustrierter war. Ständig neue Symptome zu entwicklen und nie zu wissen, wie ich mich am nächsten Tag fühle, war schwer zu akzeptieren. Mich selbst als jemanden zu sehen, der mit einer Behinderung lebt, war ein ewiger Prozess – hauptsächlich wegen dem, was wir von der Gesellschaft eingetrichtert bekommen: dass wir nur einen Wert haben, wenn wir genauso funktionieren wie Gesunde. Dass das völliger Quatsch ist und ich auch mit meinen Einschränkungen einen Beitrag leisten kann, habe ich erst spät verstanden. Oft habe ich mich gefühlt, als würde ich einen Schritt vorwärts und drei zurück machen. Irgendwann, nach mehreren Jahren, habe ich endlich realisiert, dass ich auch mit meiner Krankheit und Behinderung ein glückliches Leben führen kann – nur anders als vorher – und seither geht es mir deutlich besser. 

Der Trauerprozess hört nie wirklich auf.

Doch nur weil ich mittlerweile meistens im Einklang mit EDS bin, heißt das nicht, dass ich nicht manchmal zurück in andere Phasen rutsche und wütend auf neue Symptome, wechselnde Einschränkungen und den Verlust von Fähigkeiten, die man gestern noch hatte, bin. Gerade eine Erkrankung wie EDS, die ständig neue Herausforderungen bringt, jeden Tag andere Symptome hervorruft und konstant fluktuiert, kommt zwangsläufig mit mehr oder weniger Frust. Sich immer wieder neu zu erfinden, einen neuen Sinn im Leben zu finden, und sich an wechselnde Einschränkungen anzupassen, ist ein täglicher Kampf, den man oft gewinnt und manchmal verliert. 

Nein, Akzeptanz ist kein linearer Prozess.

Viel mehr ist es ein konstantes Tauziehen zwischen Akzeptanz und Frustration auf der anderen Seite. Manchmal gewinnt die eine Seite, manchmal die andere, und ganz oft ist man irgendwo dazwischen.

(In gekürzter Version wurde dieser Text auf der Instagram-Seite Herzensmenschen publiziert).

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