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Kann künstliche Intelligenz den Besuch bei Ärzt*innen ersetzen?

A face made out of different connected lines.

ChatGPT, die künstliche Intelligenz, über die gerade jeder spricht, hat das US medical license exam, also die finale Prüfung, um in den USA als Ärzt*in praktizieren zu dürfen, bestanden. Natürlich hat mich das dazu bewegt, herauszufinden, ob ChatGPT vielleicht meine seltene Erkrankung erkannt hätte – was über 50 Ärzt*innen für mehr als vier Jahre nicht zustande brachten. „Das kann eigentlich nicht möglich sein“, dachte ich, „oder doch?“ Ich nutze die kostenlose Version von ChatGPT schon seit mehreren Wochen und habe bislang recht gute Erfahrungen damit gemacht und einen Versuch wars wert. Mit den Antworten habe ich allerdings nicht gerechnet. Ich kramte meine Symptomliste aus dem Jahr 2010 heraus, also aus dem Jahr, in dem ich gerade akut schwer krank geworden war und hauptsächlich mit neurologischen Problemen zu tun hatte. Auf meiner Liste standen rund 40 Symptome, die  alle unspezifisch sind, wie Schwindel, Knacken im Nacken, Brennen an der Wirbelsäule, Sehstörungen, Hörstörungen, blaue Flecken, Nahrungsmittelunterverträglichkeiten, Schmerzen, Überbeweglichkeit in der Hüfte und mehr. Meine Ärzt*innen damals konnten nichts mit den Symptomen anfangen, aber wie sieht es bei ChatGPT aus?

Ich frage Chat GPT: „Anhand der folgenden Symptome, welche Krankheit liegt bei der Patientin vor?”

ChatGPT antwortet: 

“Aufgrund der Symptome und der Krankengeschichte könnte es sich um eine neurologische Erkrankung handeln, wie zum Beispiel eine Autoimmunerkrankung des Nervensystems, wie die Multiple Sklerose oder eine seltene Erkrankung namens Neuromyelitis Optica Spectrum Disorder (NMOSD). Auch eine Instabilität der Halswirbelsäule, wie z. B. das Ehlers-Danlos-Syndrom oder eine Chiari-Malformation, könnte in Betracht gezogen werden. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass eine genaue Diagnose nur durch eine gründliche Untersuchung und weitere diagnostische Tests durch einen qualifizierten Arzt gestellt werden kann.”

Wow. Was sagt man dazu. Nicht nur, dass die Auswahl an Diagnosen überraschend akkurat erscheint, wenn man bedenkt, dass der Großteil meiner Symptome neurologischer Natur waren. An Multiple Sklerose hatten auch meine damaligen Ärzt*innen gedacht und sie wurde zeitnah nach akuter Erkrankung abgeklärt. Neuromyelitis Optica klingt auch pausibel, aber daran hatten natürlich keiner gedacht – wie das halt so ist mit den seltenen Krankheiten. Aber was mich extrem überrascht hat ist, dass ChatGPT tatsächlich sofort die Instabilität der Halswirbelsäule und EDS anbietet – auch wenn die Aufführung nicht ganz korrekt ist, weil es heißen müsste eine Instabilität der HWS durch Ehlers-Danlos-Syndrom (und natürlich kommen neben den EDS auch viele andere Ursachen in Frage). Nichtsdestotrotz hätte mich ChatGPT sofort auf die richtige Spur gebracht: also nach zehn Minuten Symptomeingabe und Fragestellung, anstatt von den tatsächlichen vier Jahren, die es für mich gedauert hat. Damals gab es keine künstliche Intelligenz, die ich hätte nutzen können. Nun wollte ich aber noch etwas weiter bohren und habe eine Anschlussfrage gestellt, aber ohne ChatGPT zusätzliche Informationen zu geben. 

„Wenn ich dir sage, dass die Person das Ehlers-Danlos-Syndrom hat, welche anderen Komorbiditäten würdest du anhand der Symptome vermuten?“

ChatGPT meint:  

„Bei Patienten mit Ehlers-Danlos-Syndrom können aufgrund der zugrunde liegenden Kollagenstörung viele verschiedene Komorbiditäten auftreten. Basierend auf den genannten Symptomen könnten folgende Erkrankungen als Komorbiditäten vermutet werden:

  1. Dysautonomie: Die Kreislaufprobleme, Atemstörungen, Darmprobleme und vegetativen Symptome können auf eine Dysautonomie hinweisen, die häufig bei Patienten mit Ehlers-Danlos-Syndrom auftritt.
  2. Chiari-Malformation: Die Halswirbelsäuleninstabilität und das unwillkürliche Wackeln der Halswirbelsäule können auf eine Chiari-Malformation hinweisen, die ebenfalls häufig bei Patienten mit Ehlers-Danlos-Syndrom auftritt.
  3. Multiple Sklerose oder Neuromyelitis Optica Spectrum Disorder (NMOSD): Die neurologischen Symptome wie Benommenheit, Sehstörungen, Schwindel, Gangunsicherheit, Kribbeln in den Händen und tauben Fersen der Füße, motorische Probleme und Gedächtnisstörungen können auf eine demyelinisierende Erkrankung wie Multiple Sklerose oder NMOSD hinweisen.
  4. Fibromyalgie: Die Symptome wie Muskelschwäche, Muskelschmerzen und Müdigkeit können auch auf eine Komorbidität mit Fibromyalgie hinweisen.

Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass dies nur Vermutungen sind und dass eine gründliche Untersuchung und Diagnostik durch einen Facharzt erforderlich ist, um eine genaue Diagnose und Behandlung zu ermöglichen.”

Auch nicht schlecht, zumal direkt die erste auch auf mich zutrifft. Gut, ChatGPT versteht leider nicht so ganz, dass eine Chiari-Malformation nicht das Gleiche ist wie eine HWS-Instabilität und vermischt das irgendwie. Die Neuromyelitis Optica ist außerdem keine Komorbidität von EDS. Ebenso zählt die MS bislang auch nicht zu den komorbiden Erkrankungen. Aber im Großen und Ganzen echt keine schlechte Liste. 

Ich wollte noch einen Schritt weitergehen und habe gefragt: 

„Die Patientin hat auch viele Unverträglichkeiten von Lebensmitteln und häufig Flushing, Juckreiz, Durchfall.“

ChatGPT meint daraufhin: 

„Es gibt einige Komorbiditäten, die bei Patienten mit Ehlers-Danlos-Syndrom (EDS) auftreten können und auch mit gastrointestinalen Symptomen wie Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Flushing, Juckreiz und Durchfall assoziiert sein können. Dazu gehören:

  1. Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS): Dies ist eine Erkrankung, bei der Mastzellen (Immunzellen) im Körper überaktiviert sind und eine Vielzahl von Symptomen auslösen können, einschließlich Verdauungsproblemen, Hautausschlägen und -jucken, Flushing, Kopfschmerzen, Schwindel und Atembeschwerden.
  2. Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED): Diese Erkrankungen, zu denen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa gehören, verursachen Entzündungen im Verdauungstrakt und können Symptome wie Durchfall, Bauchschmerzen, Blut im Stuhl und Gewichtsverlust verursachen.
  3. Reizdarmsyndrom (IBS): Dies ist eine Störung des Verdauungssystems, die Bauchschmerzen, Krämpfe, Blähungen, Durchfall und Verstopfung verursacht.
  4. Zöliakie: Dies ist eine Autoimmunerkrankung, bei der der Körper Gluten nicht verträgt, ein Protein, das in Weizen, Gerste und Roggen vorkommt. Zu den Symptomen gehören Durchfall, Bauchschmerzen, Blähungen, Müdigkeit und Gewichtsverlust.
  5. Histaminintoleranz: Bei dieser Erkrankung wird Histamin, das normalerweise im Körper abgebaut wird, nicht richtig verarbeitet, was zu einer Vielzahl von Symptomen führen kann, darunter Flushing, Juckreiz, Kopfschmerzen, Schwindel und Verdauungsprobleme.

Es ist wichtig anzumerken, dass nicht alle Patienten mit EDS diese Komorbiditäten haben, aber sie können bei einigen auftreten. Wenn die Patientin diese Symptome hat, sollte sie ihren Arzt konsultieren, um eine korrekte Diagnose und geeignete Behandlung zu erhalten.”

Jetzt bin ich tatsächlich beeindruckt, denn all diese Erkrankungen sind tatsächlich komorbide Erkrankungen von EDS und MCAS steht auch wie die Dysautonomie wieder ganz oben. Auch die restlichen Diagnosen würden theoretisch zu meinen Symptomen passen und wurden bei mir auch im Zuge der MCAS-Diagnostik mit abgeklärt. Zu diesem Zeitpunkt habe ich 20 Minuten mit ChatGPT geplaudert – die Länge von ca. zwei Arztterminen. Nach so kurzer Zeit hatte ich Hinweise auf EDS, CCI, POTS und MCAS. In Realität dauerte es rund sechs Jahre, bis ich all diese Diagnosen erhalten hatte. 

Zu guter Letzt wollte ich noch wissen, wie viel ChatGPT über EDS weiß. In vergangenen Suchen hat er mir nicht immer faktisch korrekte Texte ausgespuckt, aber wie sieht es mit einer seltenen Erkrankung aus?

Ich fragte: „Kannst du erklären, was Ehlers-Danlos ist?“

ChatGPT sagt: 

„Das Ehlers-Danlos-Syndrom (EDS) ist eine seltene Erkrankung des Bindegewebes, die durch eine genetische Veränderung verursacht wird. Das Bindegewebe ist ein Gewebe, das den Körper stützt und verbindet. Es gibt mehrere Unterarten von EDS, aber im Allgemeinen verursacht EDS eine übermäßige Dehnbarkeit und Flexibilität der Haut, Gelenke und Blutgefäße. Die Symptome können von Person zu Person sehr unterschiedlich sein, aber sie können unter anderem Gelenkschmerzen, Muskelermüdung, Hautveränderungen, Blutungsstörungen, Verdauungsprobleme und autonome Dysfunktionen (Probleme mit dem autonomen Nervensystem, das Körperfunktionen wie Herzschlag, Atmung und Verdauung steuert) umfassen. EDS ist eine chronische Erkrankung, die nicht geheilt werden kann, aber mit einer angemessenen Behandlung und Unterstützung können viele Symptome kontrolliert und die Lebensqualität verbessert werden.”

Ziemlich gut, oder? Klar, künstliche Intelligenz ersetzt (noch) keinen Termin beim Arzt, aber nichtsdestotrotz hätte mir Chat GPT einige Termine, viel Frustration und vor allem viel Geld und Zeit gespart. Und Chat GPTs Trefferquote an passenden Erkrankungen ist deutlich höher als die meiner damaligen Ärzt*innen. Ich hatte unnötige (invasive) Test, schädliche Behandlungen und mein ganze Erspartes ausgegeben. Wer weiß, wo ich heute sein könnte, wenn all das nicht passiert wäre. Aber ich will gar nicht zurückschauen und mich über Vergangenes ärgern. Viel mehr freue ich mich für zukünftige Generationen, die hoffentlich einen Nutzen aus ChatGPT ziehen können – oder anderer künstlicher Intelligenz, denn natürlich gibt es auch viel Kritik an ChatGPT, z. B. den eher mangelnden Datenschutz. Eine schnellere Diagnose vermindert das Risiko von permanenten Schäden an Körper und Geist und gleichzeitig kann sehr viel schneller eine adäquate Behandlung eingeleitet und dadurch die Lebensqualität verbessert werden. Und das haben alle Betroffenen verdient. 

Bild Pixabay

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