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„Gehirn tut doch nicht weh!“ 

von Stephanie Heinen.

Meine Geschichte beginnt im Januar 2008. Motiviert durch meine damals etwa vier Jahre alte Tochter, wollte ich uns beiden etwas Gutes tun und habe mich zum Mutter-Kind-Judo angemeldet. Mein erster Versuch, wieder Sport zu treiben seit der Schulzeit. Nach dem Aufwärmen war eine der ersten Übungen ein Purzelbaum und trotz der langen Pause fühlte ich mich noch ganz schön fit. Wir hatten eine Menge Spaß und ich freute mich direkt auf die nächste Stunde, aber es kam ganz anders.

Kurz vor Ende des Trainings wurde mir schwarz vor Augen und es setzen schreckliche Kopfschmerzen ein. Mühsam schafften wir es noch nach Hause. Zum Glück wohnten wir nicht weit von der Halle entfernt. Zuhause nahm ich eine Ibuprofen und legte mich in die Wanne. Ich war wohl doch zu euphorisch an die Sache herangegangen. Das war es zumindest, was ich glaubte.

Als nach drei Tagen noch keine Besserung eingetreten war, die Schmerzen immer schlimmer, der Nacken aufgrund der Schonhaltung langsam steif wurde, suchte ich meine Hausärztin auf. Ich erntete mehr oder weniger belustigte Blicke: „Warum machen Sie auch Sport?“, und bekam Spritzen. Besserung trat nicht ein.

Was folgte war eine wahre Irrfahrt von Arzt zu Arzt. Die einen konnten, die anderen wollten nicht helfen. Inzwischen war ich hochgradig abhängig von Schmerzmitteln und obwohl mir in der Zeit von mehreren Medizinern gesagt wurde, dass es wohl alles nur psychisch wäre, ich hätte Depressionen, bekam ich ohne Probleme auch für Tramal und Diazepam Rezepte. Auch über die Menge (dreimal Ibuprofen 800, dreimal Paracetamol 1000, zweimal Diclofenac 50, 40 Tropfen Tramal und 30 Tropfen Novalgin) wunderte sich niemand. Mir wurde im Gegenteil gesagt, wenn die Menge nicht wirkt, dann ist es der Beweis, dass es psychisch sein müsste.

Im März war ich nicht mehr in der Lage gerade zu sitzen. Die Nächte verbrachte ich auf dem blanken Boden im Badezimmer, nur mit einem Handtuch im Nacken. Sitzen ging nur noch, wenn ich den Kopf vornüber auf den Boden hängen lassen konnte. Die Schmerzen waren praktisch nur noch im Liegen zu ertragen, dann war es lediglich ein dumpfes Klopfen.

Die Ärzte zuckten nach wie vor mit den Schultern, ein Orthopäde sah im Einrenken der Wahrheit letzter Schluss. Dieser Schmerz und das damit verbundene Geräusch verfolgten mich noch Tage. Kurzzeitig trat allerdings wirklich Besserung ein, ich hatte schon Hoffnung geschöpft, zumal die Kommunion unseres Sohnes anstand. Rückblickend war es vielleicht eher Stress und Vorfreude, die mich kurzzeitig „geheilt“ hatten.

Eine Woche nach der Kommunion, beim Wäsche aufhängen, kamen die Schmerzen mit einer Wucht zurück, dass mir übel wurde. Von da an ging es täglich schlechter. Ich war nicht mehr in der Lage meine Kinder zu versorgen, durch die vielen Medikamente war ich wie zugedröhnt und es konnte so nicht weitergehen. Im Mai suchte ich erneut den Orthopäden auf, schilderte ihm alles und wurde nur belächelt, bekam eine Reihe Spritzen, die ich selbst zahlen musste, dann wurde ich nach Hause geschickt. Schon am nächsten Tag stand ich wieder auf der Matte, ich hatte die ganze Nacht vor Schmerzen gebrochen und an einer Tasse Suppe wäre ich fast erstickt, da ich nicht mehr in der Lage war zu schlucken. Das war der Moment, an dem ich richtig Angst bekommen hatte.

Auf mein Drängen hin wurde endlich ein MRT veranlasst, da der Orthopäde mir beweisen wollte, „dass da sowieso nix ist.“ Im Umkreis von über 100 km habe ich jede radiologische Praxis angerufen und wurde schließlich 80 km entfernt fündig, weil die Arzthelferin Mitleid hatte, als ich unter Tränen meine Schmerzen geschildert habe. Ich durfte schon drei Tage später kommen.

Die Fahrt war die Hölle, aber ich hatte ein Ziel vor Augen. Weitere drei Tage später sollte der Bericht bei meinem Orthopäden sein und ich war natürlich mehr als aufgeregt. Die Ernüchterung folgte dann bei dem Gespräch.

„Habe ich doch gesagt, es ist nichts. Kein Bandscheibenvorfall, kein Verschleiß“, sagte er.

Meine Verzweiflung wuchs: „Gar nichts? Irgendwas MUSS doch sein. Ich sterbe vor Schmerzen.“

Schon da war ich nicht mehr in der Lage, den Kopf auch nur halbwegs gerade zu halten.

Der Arzt guckte mich nur schulterzuckend an: „Naja, hier steht, dass Ihr Gehirn zwei Zentimeter tief in die Wirbelsäule gewachsen wäre, aber ich glaube nicht, dass das ein Problem ist. Denn Gehirn tut doch nicht weh!“

Mir war, als würde mir der Boden unter den Füßen weggezogen. Was macht mein Gehirn in der Wirbelsäule? Wie kommt es da hin? Und: Kann man daran sterben? Fragen, die er mir nicht beantworten konnte und mit einem lapidaren „dann fragen Sie halt einen Neurologen“ abtat. Auf der einen Seite war ich froh, dass ich endlich eine Diagnose hatte, denn nicht einmal meine Familie wollte mir noch glauben. Ich weiß nicht, wie oft ich zu hören bekommen habe, dass es doch langsam mal gut sein müsste und ich sollte mich nicht so anstellen. Jetzt gab es einen Befund und keiner konnte ihn mir erklären.

Mit dem Begriff in der Hand, konnte ich mich im Internet auf die Suche machen und traf auf die lieben Ehrenamtlichen beim DSCM e.V., welche mir in langen Gesprächen und im Forum eine große Hilfe waren. Ich litt an einer Chiari-Malformation. Durch diese Selbsthilfegruppe geriet ich an einen der wenigen kompetenten Ärzte und musste auch dafür mehr als 200 km weit fahren, damit die notwendige OP durchgeführt werden konnte.

Schon kurz nach dem Eingriff waren die Schmerzen geheilt. Ich konnte die Medikamente reduzieren. Hatte ich aber gedacht, dass mein Horror mit den Ärzten ein Ende hätte, wurde ich enttäuscht. Meine Hausärztin weigerte sich, mir Krankengymnastik zu verordnen, damit würde ich ihr nur das Budget kaputtmachen. Für das notwendige Kontroll-MRT gab es keine Überweisung. „Sie hatten schon eines in diesem Jahr.“ Und so ging es weiter und weiter.

Erst im Dezember 2008 fühlte ich mich wieder wie ein gesunder Mensch. Inzwischen habe ich einen tollen Hausarzt gefunden, der mich ernst nimmt und mir zur Seite steht. Geblieben ist die instabile Wirbelsäule und das Problem, den Kopf nicht in den Nacken legen zu können – dann wird mir sofort schwarz vor Augen. Viele Bewegungen muss ich sehr vorsichtig durchführen und ich muss beim Kopf darauf achten, ihn gut zu stützen. Leider haben sich inzwischen andere Baustellen aufgetan, aber das Gehirn tut tatsächlich nicht mehr weh …

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