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Kurzes Interview mit Dr. Marcel Hanisch, Zahnmediziner in Münster

Ich stelle fünf Fragen an Dr. Marcel Hanisch. Dr. Hanisch ist Zahnarzt an der Universität Münster. Dort gibt es seit Kurzem eine Sprechstunde für Menschen mit seltenen Erkrankungen und Zahnbeteiligung.

Karina Sturm: 

Herr Dr. Hanisch, was bieten Sie in Ihrer zahnmedizinischen Sprechstunde für Menschen mit seltenen Erkrankungen an?

Dr. Hanisch:

Die Grundidee hinter der Sprechstunde für seltene Erkrankungen mit oraler Beteiligung ist, den Betroffenen eine erste Anlaufstelle zu bieten und für Fragen bereitzustehen.

Natürlich kann sich diese nicht mit 6000 bis 8000 Erkrankungen im Detail auskennen, das kann man nicht erwarten. Aber wir versuchen uns über jede seltene Erkrankung wissenschaftlich zu informieren und Lösungen anzubieten. Neben der zahnmedizinischen Behandlung können wir auch interdisziplinären Rat einholen. Die Universität Münster ist ein Klinikum mit Maximalversorgung, wodurch wir z. B. die Pädiatrie oder Humangenetik für zusätzliche Untersuchungen mit einbeziehen können. Wir arbeiten mit anderen Abteilungen eng zusammen und können somit prinzipiell alles anbieten.

Karina Sturm:

Was war die Grundidee hinter dem Projekt Romse und was erhoffen Sie sich davon?

Dr. Hanisch: 

Ich erkläre kurz wie es zu Romse kam. Mein damaliger Chef an der Uni Witten/Herdecke, wo ich als Assistenzzahnarzt tätig war, gab mir eine Liste mit 2000 seltenen Erkrankungen und bat mich auszuarbeiten, welche davon sich mit einer Manifestation im Zahn-, Mund- und Kieferbereich äußern. Nach mehreren Monate hatte ich 300 seltene Krankheiten herausgearbeitet, doch was machen wir jetzt damit? Informationen wie diese, gab es in dieser Form noch nicht. Daraufhin hatte ich ein gutes Gespräch mit einem Freund, der sagte: „Mach doch ein Wiki.“ Wir verwenden die Software von Wikipedia und bieten eine Datenbank an, in der sich jeder informieren kann. Man findet dort eine Beschreibung der oralen Manifestation, die allgemeine Krankheitsbeschreibung von Orphanet und weiterführende Links im Webregister.

Das Ziel des Romse-Projekts ist, dass sich jeder auf einfachem Weg über die oralen Manifestationen der seltenen Krankheiten informieren kann.

Im Moment versuchen wir es bei den Zahnmedizinern bekannter zu machen, weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass sich diese wenig mit seltenen Erkrankungen auskennen.

Die Idee ist: Der Zahnmediziner ist in der Praxis mit einer seltenen Krankheit konfrontiert und informiert sich mit Hilfe von Romse über die Basisinformationen. Durch die Verlinkungen mit wissenschaftlicher Literatur kann er dann dem Patienten adäquate Hilfe zukommen lassen.

Karina Sturm:

Wozu dient die Fragebogenstudie und was wollen Sie damit erreichen?

Dr. Hanisch:

Meiner Erfahrung nach haben Menschen mit seltenen Erkrankungen eine schlechtere mundbezogene Lebensqualität. Sie haben teilweise weniger Zähne, weil diese nicht angelegt sind oder weil sie Schwierigkeiten haben eine adäquate Mundhygiene durchzuführen. Ich finde es nicht Gerecht, dass ein Patient der aufgrund einer seltene Erkrankung Zahnersatz benötigt, den gleichen Zuschuss von den Krankenkassen erhält, wie der normale Bürger. Ich sehe das als soziale Ungerechtigkeit und mein Ziel ist es, durch den Nachweis, dass Menschen mit seltenen Erkrankungen eine schlechtere Lebensqualität haben, eine Erhöhung der Festzuschüsse zu bewirken.

Karina Sturm:

Welche seltenen Erkrankungen haben Sie bereits behandelt?

Dr. Hanisch: 

Das lässt sich so genau nicht sagen, ist aber ein breites Spektrum z. B. EDS und Osteopathien, wie die Marmorknochenkrankheit oder Glasknochenkrankheit. Das können Syndrome sein, wie die ektodermale Dysplasie, die mit Nichtanlage von Zähnen einhergeht, oder Blutungserkrankungen, wie Willebrand-Jürgens-Syndrom oder Hämophilie A/B. Wir behandeln auch seltene Erkrankungen wie Autoimmunerkrankungen, die Erstsymptome im Mundbereich zeigen, bei denen wir dann die Diagnose stellen. Natürlich ist das im Vergleich zu 6000 seltenen Krankheiten wenig.  Für mich ist es immer wieder spannend eine neue Erkrankung kennenzulernen, mich damit zu beschäftigen und eine Lösung anbieten zu können.

Auch die interdisziplinäre Arbeit ist toll. Neulich hatte ich z. B. eine 13-jährige Patientin mit einer seltenen Erkrankung, die mit einer Gelenkversteifung einhergeht. Sie reist extra 80 km zu uns an und hatte bislang keinen Zahnarzt finden können, der sie behandeln wollte. Sie hatte noch Milchzähne die nie gezogen worden waren und bleibende Zähne verdrängten, Löcher im Backenzahn und braucht nun eine Zahnspange. Für mich war es eine große Freude eine Behandlung anbieten zu können, auch wenn es bedauerlich ist, dass der niedergelassene Arzt sie nicht behandelt hatte, obwohl es durchaus möglich gewesen wäre. Gerade weil die Angst in dem Bereich so groß ist, wollen wir im Bereich seltene Erkrankungen mehr Aufmerksamkeit erzeugen.

Karina Sturm:

Welche Projekte sind in der Zukunft noch geplant?

Dr. Hanisch:

Neben dem Romse-Projekt und der Sprechstunde für seltene Erkrankung, planen wir für den 25.11.2017 einen ersten internationalen Kongress für seltene Erkrankungen in der Zahnmedizin in Münster.

Eine Mischung von Referenten aus den Bereichen Selbstbetroffene, Selbsthilfegruppen, Zahnmediziner und Mediziner werden sich dort treffen, mit dem Ziel sich auszutauschen und ein gegenseitiges Verständnis für die Schwierigkeiten zu erlangen.

Wir haben die Achse als Schirmherr gewinnen können, welche einen Vortrag über deren Arbeit halten wird. Ich würde mich natürlich sehr freuen, wenn möglichst viele teilnehmen würden und ein reger Austausch stattfindet.

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