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Mastzell… was? – Leben mit dem Mastzellaktivierungssyndrom, wie fühlt sich das an?

von Karina Sturm.

Dass etwas, das nur 30 Mikrometer groß ist, ein ganzes Leben kontrollieren kann, glaubt man erst, wenn man es selbst erlebt hat. Mastzellen, eigentlich Zellen der Immunabwehr, können durchdrehen und dem Betroffenen Probleme im ganzen Körper bereiten. Von tränenden Augen, allergieähnlichen Erscheinungen, bis hin zum „Mensch in der Blase“, können diese kleinen Zellen schier Unfassbares anrichten.

Ausgelöst durch kleinste Umweltreize, wie hohe Temperaturen oder falsche Lebensmittel, entleeren die Mastzellen von Betroffenen ihre Inhaltsstoffe. Diese sogenannten Mediatoren können zu Herzrasen führen, die Blutgerinnung blockieren, Ausschlag und Asthmaanfälle auslösen. Sie können die Blase reizen, explosionsartige Durchfälle, Übelkeit und Erbrechen auslösen und sogar das Gehirn zeigt Symptome. Konzentrationsstörungen und Nebel im Kopf sind die ständigen Begleiter. Doch das ist bei weitem noch nicht alles. Die Minibestandteile unserer Immunabwehr tun was sie wollen, wo sie es wollen, denn sie sind praktisch in jedem Organ zu finden.

Das Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS) gehört zu den unsichtbaren Krankheiten, doch wer genau hinsieht, vermag vielleicht einen Betroffenen zu erkennen.

Vielleicht lernt ihr jemanden kennen, der bei Spaziergängen genau weiß, wo sich die nächste Toilette befindet; der nicht außerhalb seiner vier Wände speist; der immer eine Rolle Klopapier in seinem Rucksack trägt und diverse Medikamente einnimmt. Der nervös wird, wenn eine Toilette wegen Renovierungsarbeiten gesperrt ist und die nächste öffentliche zwei Kilometer entfernt liegt. Der plötzlich kreidebleich wird, nicht mehr viel spricht und sich unauffällig den Bauch hält.

Viele der Betroffenen sind durch die Darmsymptome stark in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Manche können das Haus kaum verlassen. Der Körper ist geschwächt durch den Mangel an Nährstoffen, der zwangsläufig durch die Verdauungsstörung entsteht. Die Darmtätigkeit ist schwer kontrollierbar und damit unberechenbar. Wege werden nicht nach Kürze oder Praktikabilität geplant, sondern nach Zugang zu öffentlichen Toiletten, um nicht in eine unangenehme Situation zu geraten.

Das Klopapier im Rucksack dient als Notfallplan, falls ein akuter Schub einsetzt und man mitten im Nirgendwo steht. Nach einem solchen Schub sind die Betroffenen schwach, teilnahmslos und teilweise müde genug, um auf der Stelle einzuschlafen. Sie sind genervt, peinlich berührt und vermeiden derartige Situationen, indem sie entweder Tage vor einem Ausflug gar nichts essen oder sich einfach nicht mehr in der Öffentlichkeit aufhalten.

Möglicherweise ist es ein Mensch, der im Restaurant wirkt als wäre er verrückt geworden, weil er den Kellner nach jedem Bestandteil des Menüs löchert und dann in sein Smartphone hämmert. Der jedes unbekannte Konservierungsmittel, jeden Farbstoff, überprüft und dann beschließt, lieber nichts zu bestellen. Falls er doch etwas isst, besteht er vielleicht darauf, nach dem Essen noch kurz zu verweilen. Vielleicht nimmt er auch heimlich vor jeder Mahlzeit einige Tabletten ein.

Normale Restaurantbesuche sind als MCAS-Patient schwer realisierbar, denn es ist unmöglich alle Bestandteile der Lebensmittel zu kennen, hat man sie nicht selbst gekauft und verwertet. Konservierungsmittel und Farbstoffe sind der Feind. Smartphone-Apps bieten Möglichkeiten schnell und unkompliziert den Histamingehalt eines Lebensmittels zu checken, können aber keinen Aufschluss über die Zubereitung geben und sind damit zwar hilfreich, aber auch nur begrenzt. Medikamente können die Reaktion auf „böses“ Essen abschwächen, sie aber meist nicht komplett verhindern und viele Betroffene müssen abwägen ob sie für einen Abend leidenschaftliches Sündigen, vier Wochen Bettruhe, Krämpfe und Schmerzen auf sich nehmen wollen. Diszipliniert auf seine Ernährung zu achten ist schwer und Verlockungen bei einem Restaurantbesuch lassen viele schwach werden. Mit bösen Folgen.

Kann auch sein, dass euch jemand auffällt, der am Flughafen einen großen Beutel mit Spritzen und anderen flüssigkeitsgefüllten Fläschchen aus der Tasche zieht. Eventuell blockiert er den Weg, weil die Security ihn löchert, wofür er diese Medikamente braucht und nur Bahnhof versteht, als er von seiner Erkrankung erzählt. Mitpassagiere verdrehen die Augen, lästern, meckern. Der Betroffene verfällt in Stress, wird nervös.

Sowohl emotionaler als auch physischer Stress kann eine akute Reaktion auslösen. Mastzellen reagieren auf alles. Neue Umgebungen, Duftstoffe wie sie z. B. in einem Flugzeug eingesetzt werden, das Parfum der Sitznachbarin. All diese Dinge können zu allergischen Reaktionen führen, weshalb es für manche Betroffenen sinnvoll erscheint, Notfallmedikamente wie einen Epipen bei sich zu tragen. 

Das Mastzellaktivierungssyndrom kommt in vielen verschiedenen Formen und Ausprägungen und Betroffene werden häufig jahrelang falsch behandelt. 

Eine ganz typische Situation ist, wenn ein Patient mit einem Ordner voller Befunde und Listen voller Nebenwirkungen auf Medikamente vor einem Arzt sitzt, der nur kopfschüttelnd sagt: „Ich weiß auch nicht mehr weiter.“

Im Leben eines MCAS-Betroffenen hat alles Konsequenzen. Eingenommene Medikamente, stressige Lebensumstände, Nahrungsmittel, Gerüche, Umgebungstemperatur, ja sogar Vibration können eine akute Reaktion auslösen. Da wird das „Leben in einer Blase“ für manche Patienten zur traurigen Realität. 

6 Kommentare
  1. Ralf Ziörjen sagte:

    Ach du…
    kommt mir alles bekannt vor…Aber weißt du was ?: Duhast Arme,hast menschen um Dich,bist in einem guten “ Nest“ und das allerbeste !!!!! Du bist mental weiter als andere zu lebzeiten. Erkenne DICH an.push dich weiter,du bist wertvoll wie du bist.
    EEs ist schön zu erfahren,das immer mehr aus der Schattenwelt rauskommen und ein Stigma bekämpfen. Für sich, nichgt unbedingt für andere. Reden können alle…lügen,schummeln,medial verschleiern und vieles untern teppich kehren was gesundheitlich Bitter ist.
    Wir, wir stecken aber drin und wissen um die mauern die uns oft bremsen.
    In dem Sinne………………..DU PACKST auch das……………….deine seite ist schön,bleib bitte fakrfrei,unkäuflich und beiing Real.
    Glg
    Ralf Ziörjen
    http://www.ralfzioerjen.eu

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    • karinabutterfly sagte:

      Hallo Ralf,
      danke für deine netten Worte. Ich werde mich hoffentlich wenn dann nur zum Positiven verändern ;)
      Gruß
      Karina

      Antworten
  2. Anna sagte:

    Liebe Karina,

    Danke für deinen Text. Ich bin wahrscheinlich auch betroffen und würde mich gerne mit dir austauschen.
    Kann ich dich irgendwie kontaktieren?

    Viele Grüße
    Anna

    Antworten
  3. Julia sagte:

    Liebe Karina,

    da sitze ich und habe Tränen in den Augen. Du beschreibst zu genau wie sich mein Leben in den letzten paar Jahren angefühlt hat. Dank Diagnose und Medikamenten sind die Durchfälle wieder etwas besser geworden und ich muss mein Leben nicht mehr in 20 Minuten Abschnitten planen, aber die ständigen Knochenschmerzen, der Nebel im Kopf und die Erschöpfung bleiben.

    Ich versuch meinen Zustand anderen zu beschreiben als richtig fette Grippe mit Gliederschmerzen zusammen mit Magen-Darm gleichzeitig. Dass es so schwer ist Nicht-Betroffenen verständlich zu machen, wie man sich fühlt, wenn man von „außen“ doch ganz gesund aussieht, ist für mich neben dem ausgeschlossen sein von vielen sozialen Aktivitäten am Schwersten zu verkraften. Mit MCAS wird die Welt plötzlich sehr viel kleiner… Ausgehen, Reisen, Ausflüge etc. sind schwierig bis unmöglich, weil die Kraft nicht reicht, weil man oft nicht sein eigenes Essen/Trinken mitnehmen darf (Sportevents/Konzerte etc.), weil das Risiko zu groß ist wieder für Tage/Wochen im Bett zu liegen. Oder sie erfordern aufwändige Planung im Vorraus. Essen vorkochen und mitnehmen oder eine sichere Möglichkeit finden vor Ort etwas zu bekommen, ggf. vorher im Restaurant etc. anrufen und die Erlaubnis erbitte eigenes Essen mitzubringen, Atteste vom Arzt über Allergien und notwendige Medikamente, immer eine Notfall-Ersatz-Unterhose in der Handtasche, Notfall-Medis über alle Taschen verteilen, damit man auf jeden Fall welche dabei hat….

    Es ist schwer zu beschreiben wie das Leben sich verändert hat ohne dabei zu jammerig zu klingen und ich kann auch sehr gut verstehen, wenn jemand der gesund ist, nicht wirklich nachvollziehen kann, wie einschneidend MCAS ist. Seit es mich erwischt hat, habe ich schon oft innerlich oder auch persönlich Abbitte getan, bei Menschen deren Nahrungsmittelintolreanzen oder andere Einschränkungen, ich früher nicht so ernst genommen habe, wie ich das hätte tun sollen.

    An schlechten Tagen möchte ich mich nur ins Bett legen und weinen, an guten freue ich mich über all die schönen Dinge die mir trotzdem noch bleiben. Ich danke Dir, Karin, dass Du die Kraft findest über das Leben mit einer „unsichtbaren“ Krankheit zu berichten, damit vielleicht mehr Menschen Verständnis aufbringen, wenn man mal wieder „kompliziert“ sein muss. Und ich wünsche allen, aber insbesonderen denen die mit einer unsichtbaren Erkrankung kämpfen, mehr gute als schlechte Tage und dass hoffentlich die Medizin weiter Fortschritte macht und es vielleicht irgendwann Heilung für uns gibt .

    Alles Liebe Julia <3

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    • karinabutterfly sagte:

      Liebe Julia,

      Ich danke dir für deine Worte und hoffe sehr, dass du auch einen Weg findest, ein glückliches Leben mit MCAS zu leben. Melde dich bitte gerne, wenn ich dabei irgendwie helfen kann. Liebe Grüße, Karina

      Antworten

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