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Aus der Dunkelheit in das Licht

von Karina Sturm.

„Hey, hört auf zu randalieren!“, hörte ich mich rufen und erstarrte in der nächsten Sekunde. Wieso hatte ich das gesagt? Warum konnte ich nicht einmal meine große Klappe halten?! Ich war nun wirklich nicht in der körperlichen Verfassung für Auseinandersetzungen, aber mein Sinn für Gerechtigkeit überwältigte mich. Mein Mund war schneller als mein Gehirn. Das passierte aufgrund meiner impulsiven Art leider häufiger. Nun war ich seit über zwei Jahren kaum aus dem Haus gegangen, geschweige denn abends und prompt kam mein altes Ich zum Vorschein.

Jahre zuvor erkrankte ich schwer. Mein Körper wurde täglich schwächer, ich verlor Freunde, Job, Wohnung und letztlich auch meine langjährige Beziehung. Mit 24 Jahren wusste ich nicht mehr wer ich eigentlich war und ich hasste mein Schicksal, mein Leben. Als ich noch gesund war, glaubte ich, es gäbe in allem einen Sinn. Dass das Schicksal schon wissen würde, wem es welche Probleme auferlegte. Diese Vorstellung, genau wie mein Optimismus, wurden unter Wut und Frustration begraben.

Äußerlich wirkte ich unversehrt, meine Erkrankung war für andere unsichtbar. Doch innerlich verlor mein Körper immer mehr an Kraft, was dazu führte, dass ich mich, um mich vor Verletzungen zu schützen, lieber zuhause auf dem Sofa aufhielt. Ohnehin gab es kaum noch Gründe das Haus zu verlassen. Viele Freunde, die meine Situation verstanden und den Menschen der ich geworden war, gern hatten, waren da sowieso nicht mehr. Es gab schlichtweg keinen Grund, um auszugehen oder zu lächeln. Feiern? Was denn? Dass ich wütend auf Gott und die Welt war? Feiern, dass mein Umfeld mich für unfähig, faul oder nicht ganz zurechnungsfähig hielt? Ich glaubte nicht mehr daran, dass ich jemals wieder glücklich werden würde.

Und trotzdem stand ich hier. Im Licht einer flackernden Straßenlaterne, am Kanal, um zwei Uhr nachts. 20 Meter entfernt von mir, das Objekt meiner Verärgerung: Ein junger Mann, der, offenbar ziemlich angetrunken, seine beiden weiblichen Begleiter von seiner Manneskraft überzeugen musste und grölend gegen jeden Mülleimer entlang des Weges trat. Später dann gegen Laternen und alles was möglichst viel Lärm machte. Zu jeder erfolgreich ausgetretenen Laterne gab es jubelnden Beifall der Mädels als Anerkennung seiner Männlichkeit. Und unschönerweise schien die Gruppe den selben Nachhauseweg zu haben wie ich.

Warum ließ ich mich nur dazu überreden auszugehen? Ich hörte mir das Spektakel, das offensichtlich dazu dienen sollte eine der beiden Damen mit nach Hause zu nehmen, ein paar Minuten an, bevor ich den Mund öffnete und plötzlich inmitten einer Konfrontation stand. Da war sie wieder, die aufmüpfige, vorlaute und manchmal einfach nur doofe Karina, die ich vor meiner Erkrankung war. Einerseits stolz, andererseits im Boden versinken wollend, starrte ich die Störenfriede direkt an. Bloß nicht mit der Wimper zucken, keine Schwäche zeigen, dachte ich. Mein Handicap, eine Halskrause, die ich permanent tragen musste, würde mich als leichte Beute enttarnen, vorausgesetzt die Clique konnte noch scharf sehen. Ich hoffte das Gegenteil.

Nur Augenblicke später, finde ich mich umzingelt von drei weiteren Gestalten wieder – meinen Freunden. Wobei streng genommen nur zwei davon, ein verheiratetes Pärchen, zu meinen Freunden zählten. Der dritte, männliche Part meiner Beschützerriege, war ein Bekannter der mich kaum kannte, was mich umso mehr beeindruckte. Sie zögerten nicht, schoben mich sofort hinter sich, was wirklich mutig war, bedachte man, dass meine beste Freundin schon vom Anschauen blaue Flecken bekam. Meine Freunde beschlossen, dass mein Leben schützenswerter war als ihr eigenes. Ich war diesen Menschen so viel wert, dass sie nicht wollten, dass mir auch nur ein Haar gekrümmt werden würde. Wie konnte ich mich nur so hängen lassen und alles anzweifeln? Dabei hatte ich das Offensichtliche komplett übersehen. Natürlich hatte ich viel verloren, und ja, mein Leben war nicht einfach, doch hatte ich vor lauter Frust und Wut auf die Welt völlig vergessen, dankbar dafür zu sein, was ich noch hatte. Und das war mehr als viele gesunde Menschen vorzuweisen hatten. Ich stellte fest, ich hatte die weltbesten Freunde, die sogar dann hinter mir standen, wenn ich einfach nur dusselig war und nicht nachdachte was ich tat. Die ohne zu hinterfragen, ohne mich zu verurteilen und ohne jegliche Rechtfertigung meinerseits, jede Gefahr abwandten, nur weil ich Ich war. Ich war es, die sich selbst auf die Krankheit reduzierte, und meine Freunde waren diejenigen, die mir in diesem Moment klar machten, dass ich so viel mehr war, als eine unwillkürliche Entscheidung des Schicksals.

In dieser einen Nacht schöpfte ich neue Hoffnung. So dunkel viele Tage meines Lebens auch sein mochten, so oft ich mich verlieren würde, es gab immer Menschen, die mich zurück zu mir selbst führen würden. Die mich auffingen und die mir beistanden. Sogar Prügel würden sie für mich einstecken, nur um mich zu schützen.

Ich realisiert, dass es größtenteils von der inneren Einstellung zum Leben abhing, wie man dieses wahrnahm. Es war nicht alles schlecht. Ich entschied mich jedoch lieber dafür, mich fast von der Frustration auffressen zu lassen, anstatt dass ich mich nur einmal umgesehen hätte. Dann hätte ich nämlich sofort realisiert, wie glücklich ich mich schätzen konnte, dass meine Freunde mich auch akzeptierten, wenn ich gerade die absolut schlechteste Version von mir selbst war.

Mir wurde an diesem Abend gelehrt, dass der Ort an dem ich lebte, die Menschen die mich umgaben, nur so schlecht waren, wie ich sie selbst sah. Ja, die grölenden, tretenden, balzenden Jugendlichen waren nervig, aber das war eben auch nur die Hälfte des Moments. Genau wie mit meiner Erkrankung entschloss ich mich in dieser Situation nur das Negative wahrzunehmen – die Dunkelheit. Hingegen standen neben mir, im Schein der Laterne, drei ganz besondere Menschen, die so viel wichtiger für mich sein hätten sollen – meine Freunde; das Licht.

Mein Körper würde weiterhin zerfallen, mein Leben wäre nach wie vor schwierig, nichts hatte sich an meinen Lebensumständen geändert. Doch an diesem einen Tag, in dieser einen Minute, wich das trübe, traurige Grau, einem leuchtenden, sonnigen Gelb und meine Freunde erhellten mir die dunkle Nacht.

Und die volltrunkenen Rowdies, die konnten im Anblick der positiven Ausstrahlung meiner Beschützer nur einknicken und liefen fortan als Schoßhunde hinter uns, bis sich unsere Wege trennten und wir sie nie wieder sahen.

2 Kommentare
  1. Elena sagte:

    Viele kennen den Spruch „wo Licht ist, ist auch Dunkelheit“. Du zeigst, dass es auch andersrum sein kann. Man muss nur die Augen ganz weit öffnen :-)

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    • karinabutterfly sagte:

      Huhu meine Liebe, da hast du recht. Manchmal ist die Dunkelheit einfach so viel stärker und dann verliert man den Blick für das Gute im Leben. Aber zum Glück gibt es immer wieder Menschen, die einen genau daran erinnern, dass das Licht so viel stärker ist. :)

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