Low-Dose Naltrexon: Mögliche Schmerztherapie bei Ehlers-Danlos-Syndrom
Gastbeitrag von Kate Schultz. Aus dem Englischen übersetzt. Zuerst erschienen auf www.chronicpainpartners.com. Lest den Originalartikel hier: https://www.chronicpainpartners.com/low-dose-naltrexone-possible-pain-relief-in-a-small-package/
Das Medikament Narcan, oder Naloxon, wurde in den letzten fünf bis zehn Jahren vor allem für seine guten Wirksamkeit als Notfallmedikament bei Opioid-Überdosierungen bekannt. Ein Sprühstoß Naloxon in die Nase der Person mit Überdosierung kann deren Leben retten oder sie zumindest stabilisieren bis medizinische Fachkräfte eintreffen. Naloxon wird oft mit dem verwandten Naltrexon verwechselt, obwohl die Wirkungsweisen unterschiedlich sind. Naltrexon hilft Menschen, die sich in einer Therapie gegen Opioid- oder Alkoholabhängigkeit befinden, abstinent zu bleiben. Doch wie kam es dann dazu, dass ein Medikament, das für die Behandlung von Abhängigkeiten zugelassen ist, heute auch zur Schmerzbehandlung eingesetzt wird? Die Antwort liegt im Gehirn.
Wie Opioide wirken
Um zu verstehen, wie Naltrexon, ein Opioid-Antagonist, funktioniert, ist es hilfreich zu wissen, wie Opioid-Agonisten (meistens einfach Opioide genannt) wirken und das Gehirn beeinflussen.
Das Gehirn besitzt Rezeptoren für Endorphine. Endorphine sind Hormone, die bekannt dafür sind, das Wohlbefinden im Körper zu fördern, zum Beispiel nach sportlicher Betätigung. Sie können auch nach anderen Aktivitäten gebildet werden. Wenn Endorphine produziert werden, binden sie an Rezeptoren (genannt Mu-Rezeptoren) im Gehirn, was das „Glücksgefühl“ nach einer intensiven Trainingseinheit oder einem Fallschirmsprung auslöst.
Auch Opioide binden an diese Rezeptoren. Opioide unterscheiden sich von Endorphinen, verwenden jedoch die gleichen Rezeptoren, um Schmerzen zu lindern und ein Gefühl der Entspannung, Ruhe oder des „High“-Seins zu erzeugen. Die Mu-Rezeptoren spielen auch eine Rolle bei der Abhängigkeit, die bei Langzeiteinnahme von Opioiden entstehen kann, sowie bei Atemfunktionen. Daher kann es passieren, dass Menschen, die zu viele Opioide nehmen, aufhören zu atmen (Dhaliwal und Gupta).
Eine Möglichkeit, Menschen mit Opioid-Überdosis zu helfen, ist die Gabe von Naloxon, auch bekannt unter dem Markennamen Narcan. Narcan ist ein Opioid-Antagonist, was bedeutet, dass es sich an die Mu-Rezeptoren anheftet und dabei gleichzeitig die Opioide daran hindert, dies zu tun. Können die Opioid-Moleküle nicht an die Rezeptoren binden, verschwinden auch die Symptome der Überdosis wie flache Atmung, kalte Haut und übermäßige Schläfrigkeit.
Was ist Naltrexon?
Naltrexon wurde 1963 von Dr. Joseph Volpicelli entdeckt, der dessen Potenzial zur Behandlung von Alkoholabhängigkeit erkannte. (Alkohol interagiert ebenfalls mit den Mu-Rezeptoren.) Naltrexon wurde 1967 patentiert und 1984 für die medizinische Verwendung in den Vereinigten Staaten zugelassen. Da es ein Opioid-Antagonist ist, „blockiert Naltrexon die euphorischen und sedierenden Wirkungen von Opioiden wie Heroin, Morphin und Codein,“ erklärt die Substance Abuse and Mental Health Services Administration (SAMHSA). Die Einnahme von Naltrexon hilft Menschen, die in Behandlung für Alkoholabhängigkeit oder Opioidabhängigkeit sind, kein Verlangen nach Opioiden oder Alkohol zu verspüren. Die Mu-Rezeptoren sind mit Naltrexon besetzt, was die Bindung von Opioiden oder Alkohol verhindert.
Naltrexon gibt es in zwei Formen: als orale Pille und als intramuskuläre Injektion. (Eine dritte Form, Contrave, ist eine Kombination aus Naltrexon und dem Antidepressivum Bupropion und wird zur Behandlung von Adipositas verwendet.) Beide Formen können für Menschen in der Therapie von Alkoholabhängigkeit eingesetzt werden. Die intramuskuläre Version wird bei Opioidabhängigkeit bevorzugt. Die Pille wird täglich eingenommen, während die Injektion einmal im Monat von einer medizinischen Fachkraft verabreicht wird. Sie wird gestartet, sobald die Patient*innen den Entzug durchlaufen haben, und wird über mehrere Monate hinweg angewendet, um die Abstinenz zu unterstützen.
Was ist Low-Dose Naltrexon (LDN)?
In den 1980er Jahren arbeitete der Neurologe und Psychiater Dr. Bernard Behari mit AIDS-Patient*innen und stellte fest, dass Naltrexon in niedriger Dosierung den Körper zur Produktion von Endorphinen anregen konnte, jedoch in einer so geringen Menge, dass die Mu-Rezeptoren nicht vollständig blockiert wurden. Diese neu erzeugten Endorphine fanden ihren Weg zu den Mu-Rezeptoren und banden sich dort an. Da Endorphine eine Rolle bei der Schmerzregulation spielen, halfen diese zusätzlichen Endorphine, ohne die Rezeptoren zu blockieren, den Patient*innen dabei, weniger Schmerzen zu empfinden und das bekannte Glücksgefühl der Endorphine zu erleben.
Es wurden einige Studien zu LDN durchgeführt, um herauszufinden, bei welchen Erkrankungen es helfen könnte. Die meisten der Erkrankungen, bei denen LDN am besten zu wirken scheint, sind Autoimmunerkrankungen. Dazu gehören Morbus Crohn, Multiple Sklerose, Fibromyalgie und neuropathische Hornhautschmerzen. Als Ärzt*innen und Patient*innen von den schmerz- und angstlindernden Effekten von LDN und der Tatsache erfuhren, dass es eine nicht-opioidhaltige Option ist, begannen sie, es auch zur Linderung von Krebsschmerzen, ME/CFS, chronischen Schmerzen, dem Golfkriegssyndrom, diabetischer Neuropathie, Long COVID und mehr einzusetzen.
Patient*innen beginnen meist mit einer Dosis von 1,5 mg Naltrexon täglich (manche starten schon bei 0,1 mg) und steigern die Dosis bis zu einer für sie wirksamen Dosis. So begann auch Janelle A., eine LDN-Anwenderin, ihre Behandlung. Als sie 2019 mit LDN begann, wurde bei ihr Fibromyalgie diagnostiziert, von der sie 2024 erfuhr, dass es sich tatsächlich um das hypermobile Ehlers-Danlos-Syndrom handelt. „Ich begann mit der niedrigsten Dosis und steigerte sie dann schrittweise. Anfangs spürte ich wenig Wirkung, doch nach den ersten Monaten änderte sich das“, sagte sie kürzlich in einem Interview. Wirksame Dosierungen und die Zeit bis zum Wirkungseintritt variieren von Patient*in zu Patient*in, und es gibt keine allgemeingültige Empfehlung für alle.
Viele Menschen mit weit verbreiteten chronischen Schmerzen erfahren durch die Einnahme von Low-Dose Naltrexon eine gewisse Linderung, obwohl es, wie bei jedem Medikament, nicht bei allen wirkt. Nach jahrelangen Schmerzen und dem Ausprobieren verschiedener Medikamente und Therapien wird LDN oft als „es kann nicht schaden“-Option empfohlen. „Ich hatte vorher Cymbalta, Lyrica und Gabapentin als Dauermedikation gegen meine chronischen Schmerzen ausprobiert“, sagte Janelle. Sie berichtet, dass LDN am besten zur Behandlung ihrer täglichen Basisschmerzen geeignet ist und die geringsten Nebenwirkungen aufweist. Bei Schmerzschüben nimmt sie weiterhin andere Medikamente, doch im Alltag bewältigt LDN ihre Schmerzen.
Nachteile von LDN
Obwohl LDN wie ein Wundermittel erscheinen mag, gibt es einige Nachteile, die vielen bei neueren Medikamenten und Therapien bekannt sein dürften. Wie bereits erwähnt, wurden einige Studien zu LDN durchgeführt, jedoch haben die meisten zur Wirksamkeit von LDN kleine Stichproben und konzentrieren sich auf eine einzige Erkrankung oder einen Einzelfall. Weitere Forschungen sind im Gange; laut PubMed wurden im Jahr 2024 39 Veröffentlichungen zu LDN publiziert.
Darüber hinaus wurde Naltrexon von der FDA zur Behandlung von Alkohol- und Opioidabhängigkeit zugelassen, während Low-Dose Naltrexon nach wie vor für keine Indikation zugelassen ist. Es muss „off-label“ verschrieben werden, was bedeutet, dass es für eine Behandlung verwendet wird, für die es ursprünglich nicht vorgesehen war. Viele Medikamente werden so verschrieben, doch einige Krankenkassen zahlen nicht für Medikamente, die nicht gemäß der FDA-Zulassung verwendet werden.
Das Medikament muss auch in einer Apotheke speziell hergestellt werden, da Naltrexon in Tabletten mit 50 mg Dosierung geliefert wird, die nicht einfach in 4,5 mg aufgeteilt werden können. Da LDN nicht FDA-zugelassen ist, können LDN-Tabletten nicht kommerziell hergestellt werden. Eine Apotheke stellt individuelle Kapseln (oder auch eine Lösung) mit der richtigen Naltrexondosis her und kann die Menge an die Bedürfnisse des Patient*innen anpassen. Die Preise für eine Monatsration LDN können variieren. Zu den meist privat zu bezahlenden Kosten für die hochdosierten Tabletten kommt meist eine Herstellungsgebühr der Apotheke hinzu. Natürlich kann es, wie jedes Medikament, Nebenwirkungen verursachen und mit anderen Medikamenten, insbesondere Opioiden, interagieren.
Es wird nicht empfohlen, LDN und Opioide gleichzeitig einzunehmen. LDN und Opioide konkurrieren um dieselben Rezeptoren, und wenn LDN im Körper vorhanden ist, besetzt dieses die Rezeptoren. Dies kann für manche Menschen problematisch werden, wenn sie sich einer Operation unterziehen oder wenn LDN nicht ausreichend hilft. Allerdings, so erklärte Janelle im Hinblick auf ihre bevorstehende Operation, „scheint die Entscheidung, LDN vor einer Operation zu vermeiden, eher eine Vorsichtsmaßnahme zu sein.” „Die Dosierung von LDN ist deutlich geringer als die Dosierung von Naltrexon, das zur Behandlung von Suchterkrankungen verwendet wird.“ Daher könnte es sein, dass an den Rezeptoren im Gehirn Platz für beides ist, aber es gibt dazu keine schlüssigen wissenschaftlichen Studien.
Andere Schmerzmittel wie nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), Paracetamol und topische Schmerzmittel interagieren nicht negativ mit LDN. (Fragt unbedingt vorher euren Arzt bzw. eure Ärztin, da LDN möglicherweise mit anderen Medikamenten interagiert.) Außerdem kann ein*e Patient*in entscheiden, LDN zwei bis drei Tage vor einer Operation abzusetzen, um Opioide zur Schmerzbehandlung einzusetzen. Nachdem die Opioide abgesetzt wurden, sollte die*der Patient*in zwei Tage warten, bevor sie*er LDN wieder einnimmt (LDN Research Trust). Auch hier gilt: Befolgt immer die Empfehlungen der medizinischen Fachkräfte, die eure individuelle Gesundheitssituation kennen.
Während das Schmerzmedizin-Feld eine lange Liste an Medikamenten und Verfahren zur Schmerzbehandlung bietet, erleben viele Patient*innen dennoch, dass ihre Schmerzbedürfnisse unzureichend abgedeckt sind. Therapien wie LDN geben den Patient*innen, bei denen sie wirkt, Hoffnung – auch darauf, dass möglicherweise weitere schmerzlindernde Behandlungen näher sind, als wir denken.
Meine persönlichen Erfahrungen mit LDN könnt ihr hier nachlesen:
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